Führung und Verantwortung
„Ich habe davon nichts gewusst, schon gar nicht diese Manipulation angeordnet und im Übrigen kann ich mich nicht erinnern!“
Kommen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, diese Aussagen bekannt vor? Wenn ja, sind Sie Augen- und Ohrenzeuge von Verantwortungslosigkeit, Organisationsversagen und Gedächtnisschwund von Vertretern der Politik- und Wirtschaftselite. Vor wenigen Tagen begann der Prozess im Dieselskandal gegen Rupert Stadler, Audi-Chef von 2007 bis 2018, und der Strafprozess vor dem Landgericht Braunschweig gegen den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn soll bald beginnen. Zur Faktenlage: Die VW-Dieselaffäre flog im September 2015 zuerst in den USA auf. Jahrelang wurde bei Abgaswerten betrogen, indem Grenzwerte mithilfe einer illegalen Software auf dem Prüfstand eingehalten wurden, aber eben nur da. Auf der Straße im Fahralltag wurden die Stickoxide nur so rausgehauen.
Führung und Organisationsversagen
Ganze Abteilungen kümmerten sich bei VW und Audi um die Abgasnachbehandlung. Und die obersten Chefs: Sie behaupten aktuell, sie seien nicht informiert gewesen, die Dinge seien ihnen verheimlicht worden. Sie seien Opfer, nicht Täter. Im deutschen Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung und diese gilt auch hier in diesen Zeilen. Aber halten wir uns zwei Fakten vor Augen: im VW-Konzern wurde streng hierarchisch geführt.
Fakt 1:
Die Vorstände wollten über alle Details Bescheid wissen und gaben auch vor, diese zu kontrollieren. So sind zum Beispiel die Berichte von Besuchen des VW-Chefs in den Standorten weltweit legendär. In VW-Werk in Mexiko, Produktionsstätte des VW-Beetle, nahm Herr Winterkorn persönlich Maß an der Stärke des Lacks auf der Kühlerhaube. Wehe, es war zu viel Lack und damit Material verbraucht, es erfolgte unmittelbar ein Anruf in Deutschland bei der verantwortlichen Qualitätssicherung.
Fakt 2:
Wer als Vorstand oder Geschäftsführer in einer Kapitalgesellschaft die höchste Verantwortung trägt, muss die Organisation so aufstellen, dass Fehlentwicklungen und Verstöße gegen gesetzliche Normen verhindert werden. Es ist also denkbar und vorstellbar, dass unlautere Mitarbeiter ganz alleine auf die Idee zu dieser Manipulation gekommen sind. Dann hat in diesem Falle das System versagt, die Organisation wurde nicht so gestaltet, dass Fehler oder Manipulationen gemeldet oder unterbunden wurden. Wer ist dafür verantwortlich? Die oberste Entscheidungsebene, also hier die Herren Winterkorn und Stadler. Haben sich die Herren hierzu bekannt? Bis jetzt jedenfalls öffentlich nicht. Gibt es wenigstens eine Entschuldigung? Haben wir schon mal gehört, dass die geschädigten Verbraucher ihnen leidtun? Fehlanzeige!
Für die Beschuldigten habe ich zum Schluss noch einen Verfahrenstipp, frei nach Olaf Scholz, unserem Bundesfinanzminister: Der hat bei den Anhörungen im Bundestag zum Wirecard- und Cum-EX Skandal sich auf Gedächtnis- und Erinnerungslücken berufen. Das geht immer. Aber Verantwortung sieht anders aus.